Inhalt anspringen

Stadt Linnich

Floßdorf

Floßdorf, das heißt Dorf am Fluß, ist wohl nicht so alt wie die meisten anderen Orte des Kreises Jülich. Es gehört zu den Ortschaften, über die geschichtlich wenig bekannt ist.

Geschichtliche Darstellung des Ortes Floßdorf bis 1800

In und bei Floßdorf sind keine keltischen oder römischen Funde gemacht worden. Höchstwahrscheinlich haben erst germanische Sieder den Scheiderücken zwischen Merz- und Rurtal für Acker und Weide gerodet. Nach den Flurnamen zu urteilen, wird das in der ersten Hälfte des Mittelalters geschehen sein. Auch der Ortsname lässt eine Deutung über den ungefähren Entstehungszeitpunkt zu, denn der größte Teil der rheinischen Orte mit dem Grundwort „dorf“ entstammt dem 10. und 11. Jahrhundert.

Um diese Zeit muß auch die Burg, die nur überliefert ist, aber nirgendwo urkundlich genannt wird, bestanden haben. Das Rittergeschlecht muß aber schon früh, d.h. bis zum 13. Jahrhundert wieder erloschen sein. Die Preisgabe der grundherrlichen Eigenwirtschaft, die schon seit 1150 zu beobachten ist, mag auch die Erben der Burg bestimmt haben, sich mit Bodenrenten zu begnügen. Die Burggebäude lagen zwecklos da und verfielen. Der Volksmund jedoch bewahrte den Standort der Burg in Erinnerung bis auf unsere Tage. Er weiß sogar noch die Größe der Burg im Gelände abzustecken und selbst die Stelle des Brunnens anzugeben, obwohl schon im Anfang des 17. Jahrhunderts das Gelände völlig eingeebnet und landwirtschaftlich genutzt wurde.

Nach dem Untergange der Burg verlagerte sich der Ort mehr nach Süden. Die „Burgberggasse“ in der Hofleute gewohnt haben mögen, öffnete sich nach Süden zum „Play“ von dem aus die „Gracht auf dem Berg“ talabwärts führte. Die „Rurdorfer Straße“, die 1664 erstmals genannt wird, heißt von 1790 an auch „die kleine Straße“. Die Verbindung zwischen „Play“ und Feldgemarkung bildet die „Hauptstraße“, auch „Kreuzstraße“ genannt (1774) nach einem an ihr stehenden Kreuz. Die Hauptstraße gabelte sich zum „Rurdorfer Gäßchen“, zum „Welzer Ende“ (1660), zur „Leichengasse“ oder „Lichgasse“ (auf dieser Straße wurden die Leichen zum Barmener Friedhof gebracht), später auch „Ederner Gasse“ genannt und endlich zum „Barmer Kirchpfad“ oder „Kirchgasse“ oder „Barmer Gasse“. Dieser Weg führte am Kellenberger Wäldchen vorüber zur Pfarrkirche nach Barmen.

Der bauliche Zustand und die Inneneinrichtung der Häuser waren bis 1760 in wohl sehr erbärmlichem Zustand. 1617 kaufte Johann von Wickrath das Haus der Eheleute Nelles und Mergen Meyer für 5,3 Reichstaler, in einer Zeit, da ein Morgen Ackerland 40 bis 50 Reichstaler kostete.

Bis 1760 löste eine Kriegs- und Notzeit die andere ab (Franzoseneinfälle, Einfälle der Spanier, 30-jähriger Krieg, wilde Landsknechtshorden und Räuberbanden)

Am Ende des 17. Jahrhunderts finden wir in Floßdorf schon das Brauereigewerbe. Wirtschaften im heutigen Sinne gab es nicht. Auf den Geldverdienst kam es bei dem ausgeprägten Nachbarsinn in jener Zeit wohl nicht an. Erst etwa nach 1750 entstanden Dauerwirtschaftsbetriebe.
Neben der Landwirtschaft erwarben sich viele Floßdorfer durch Fischen in der Rur (In der Fastenzeit wurde das ganze Hinterland beliefert), durch Korbflechten und Holzschuhanfertigungen einen lohnenden Nebenverdienst.

Besonders zu erwähnen sind noch die beiden Mühlenbetriebe. Die Oelmühle (jetzige Pickartz- Mühle), die schon um 1600 bestand und die auf Antrag des Oelmüllers Peter Engels um 1780 angelegte Kornmühle (Riesens-Mühle, im letzten Kriege zerstört).
Von 1600- 1800 gab es in Floßdorf etwa 36 Häuser. Ihre Bewohner hatten Erbrenten an die Herren von Burgau bei Düren, den Kurfürst von Jülich, die Herren von Drove, Palandt, Setterich, Engelsdorf, Kellenberg und Lenrodt an die Kirchen von Barmen, Ederen, Welz und Linnich zu entrichten.

Die Ackerbaufläche, die 1786 mit 468 preuß. Morgen angegeben war, lag bis etwa 1600 wohl zumeist in einer Hand vereinigt. Nach 1600 zeigte sich der Besitz aufgeteilt in etwa 20 größere Betriebe und etwa doppelt so viele kleinere. Kein Hof hatte wohl mehr als 30 Morgen unter dem Pfluge. Die Abgaben waren so hoch, daß jedem Floßdorfer etwa nur ein Malter Bodenfrucht zur Verfügung stand, nach heutigem Gelde etwa 40 DM. Unsere Vorfahren haben mit unglaublich geringen Einkünften leben müssen und zu leben verstanden, und kein Fürsorgeempfänger würde heute mit einem Bauern des 17. und 18. Jahrhunderts tauschen wollen. Daher wurde alles genutzt, was irgendwie zu verwenden war. Zweige und Äste wurden auf dem Driesch und im Busch gesammelt, die Kopfweiden der Gemeindewiesen, die Baumbestände der Hecken am „Tackberg“ ( ein Teil der Höhe , auf der das Dorf steht) und der Busch selbst mussten den Brennstoffbedarf decken. Eine Sparmöglichkeit sahen unsere Vorfahren in der Pflege der Nachbarschaft besonders an kühlen und kalten Abenden, bei der nur eine unter vielen Familien dann die Auslagen für Heizung zu tragen hatte. Jede kleinste Böschung wurde von Schafen und Ziegen abgeweidet.

Kleidung wurde nur einmal im Leben gekauft: vor der Hochzeit. Sie wurde bis ins hohe Alter hinein getragen, selbst dann noch, wenn Unansehnlichkeit und Leibesfülle sie wie ein „Karnevalskostüm“ aussehen ließ.

Zur Kirche ging man in Holzschuhen. Strümpfe und Socken im Sommer an Werktagen zu tragen, galt als Luxus. Im Winter trug man doppelte andere Kleidungstücke, denn einen Mantel kannte man nicht. Die Armut wurde in etwa gemildert durch den großen Viehbestand. Der Allmendebogen des Driesches wurde von Kühen, Ochsen und wenigen Pferden abgeweidet, dem Busch wurden die Schweine zur Mast zu getrieben, und auch die Brache der Feldflur war eine willkommene zusätzliche Weidefläche. In normalen Zeiten standen die Ställe voller Vieh. Aber von 1600-1800 gab es keine Generation, die nicht durch Kriege das Letzte verloren hatte. Vor allem das 17. Jahrhundert mit den Einfällen Ludwigs XIV. und dem 30- jährigen Krieg war das Schlimmste. Aber auch nach den Friedensschlüssen überfielen Räuberscharen die Dörfer, bis Schützenwehren der Bauern die Unholde erschlugen.

Aber auch ansteckende Krankheiten, wie Pest, Typhus, Ruhr und Fleckfieber, die durchschnittlich alle 8 Jahre auftraten, ließen manches Anwesen verödet zurück, und es gab keine Familie, die nicht Opfer bringen musste. Allein von 1666-69 wütete drei Jahre lang die Pest. Auch unter dem Vieh grassierten durchschnittlich alle vier Jahre Seuchen, die es dahinrafften. Die verendeten Leiber transportierte man zur „Schindskull“. Hagelschlag und Dauerregen, Trockenheit, „Mausgebiß“ und Schneckenplagen brachte unsere Vorfahren oft ans Hungertuch. Teuerung setzte ein, und es wurden Dinge der Ernährung zugeführt, die uns ekelhaft erscheinen, um dem Hungertode zu entgehen. Teuerungsjahre waren, soweit sie heut noch urkundlich festzustellen sind, 1613-14,1667-68, 1675-76, 1697-1700,1709-1710, 1714-1715, 1739-40, 1771-72 und 1789-95. Mancher Familienvater veräußerte das mühsam erworbene Ackerland viertelmorgenweise für ein paar Brote.

In dieser Zeit bildete das Dorf eine Schicksalsgemeinschaft. Der Nachbar wurde zum Bruder. Freudiges Geben schaffte Freunde für Notzeiten. Die bis zur Selbstopferung gesteigerte Unterstützungsbereitschaft schwächte die Wucht der Schicksalsschläge. Niemals später hat das Dorf eine derartige Einheit dargestellt als in diesen Notzeiten.

Auch die tief religiöse Einstellung half die Not zu überwinden. Je härter die Prüfung hinieden, desto größer der himmlische Lohn, war die Überzeugung, die jedem Ungemach noch eine gute Seite abgewann.

Die Fülle der Flurnamen gibt Kunde von der innigen Verbundenheit mit der Flur, der Natur. Am Barmener Kirchweg lag der „Kellers-Kamp“ (seine Besitzer, die Herren Pellmann, hatten die Kellnerwürde des Amtes Jülich innegehabt). Geht man, weiter auf Barmen zu, kommt man zum „Heidchen“, dessen Bodenbeschaffenheit für die Namengebung bestimmend gewesen ist. Vom „Vogelsänger“ geht es weiter zu den „Disteln auf den Steinen“, das von seinem Besitzer wegen der niedrigen Ertragswerte unbenutzt gelassen wurde.

Auf dem „Lichweg“ bewegten sich die Leichenzüge nach Barmen. An den „Lichweg“ grenzte der „Klagberg“ und an seinem Grunde lag die „Kleykuhle“, deren tonige Erde beim Flachwerkbau Verwendung fand. An der Barmer Grenze lag der „Somborn“, so genannt wegen seiner Fruchtbarkeit als Born des Samens. Am Ausgange des Dorfes in Richtung Aldenhoven stand der „Wachtbaum“. Er war in Notzeiten von einem Dorfbewohner besetzt, denn von hier aus konnte man den gesamten Raum zwischen Linnich und Aldenhoven überblicken.

Die „Kohlbahn“ bildete eine Verbindung zwischen den Kohlenbergen Eschweiler- Stolbergs und Linnich.

Die „Lohe“ birgt die Erinnerung an ein Grenzgehölz zur Barmener Feldflur. Die „lange Fohr“ war ein Graben, der als Grenze nach Barmen diente. Nach Rurdorf und Welz zu bildeten die „Schrodtwege“, der Steilhang der „Welzer Berge“ und der „Ederner Bruch“ eine natürliche Grenze. Im Merztal mit seinen Erlen, Gestrüpp und Knieholz waren die Elstern zu Hause, daher der Name „Elstersack“. Weiter nach Norden lag ein Vogelparadies; die Flurnamen „Vogelskamp“ und „an der Gluckhenne“ zeugen davon. Um dem Vieh, das im Herbst auf der Fläche hinter den Hecken graste, den Weg in Höfe und Gärten zu wehren, war auf dem Ederner Weg ein Schlagbaum errichtet. Die Flur dort bekam den Namen „die Wippe“. An das Gebiet der Rurdorfer Gemeinde lehnte sich der „Schäferskamp“ an, ein Feld, das die Floßdorfer ihrem Schäfer für seine Arbeit zur Verfügung stellten. Zum Rurdorfer Unterdorf führte das „Veeltris Petgen“. Man musste dort Acht geben, keine falschen Tritte zu tun.

Der obere Drieschteil führte den Namen Minterskamp, der untere, oberhalb und unterhalb der Oelmühle die Bezeichnung „Höllenloch“. Dadurch wurde die Gefährlichkeit einer tief ausgewaschenen Stelle der Rur gekennzeichnet. Nach Rurdorf zu war das Teufelsloch, wo der Sage nach das Dach der Burg hingeweht und verschwunden sein soll.

Mag auch die wirtschaftliche Lage Floßdorfs bis 1800 ungünstig gewesen sein, so haben unsere Vorfahren doch in selbstloser Hilfe füreinander und in tiefem Gottvertrauen eng zusammen gestanden. Das sollte für uns Beispiel sein, es Ihnen nachzutun.

Nach 1800 setzt ein allmählicher wirtschaftlicher Aufschwung ein. Das zeigt allein schon das Anwachsen der Dorfbevölkerung. 1767= 212 Einwohner, 1895= 402 Einwohner, 1935= 424 Einwohner.

Bis 1866 gehörte Floßdorf zur Pfarre Barmen. Aber bereits 1821 wurde in Floßdorf eine Kapelle gebaut, die 1863 erweitert wurde. Durch die Erweiterung der Kapelle und den Anbau eines Turms entstand 1864 die alte Kirche. Sie wurde 1866 konsekriert. Seit 1872 birgt die Kirche ein Bild der immerwährenden Hilfe. 1945 wurde diese Kirche gesprengt. 1953 wurde mit dem Neubau der Kirche begonnen; sie wurde 1954 vollendet und konsekriert.

(Quelle: Festschrift des Jugendvereins Floßdorf zum 75jährigen Bestehen, 1982)

Erläuterungen und Hinweise